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„Da darinnen alle Stimmen durchgehends singen, und die eine mit so vieler Stärcke, als die andere ausgearbeitet ist: So ist iede Stimme besonders auf ihr eigenes Systema gebracht, und mit ihrem gehörigen Schlüssel in der Partitur versehen worden. Was man aber für besondere Einsichten in die Setz-Kunst, so wohl in Ansehung der Harmonie, als Melodie, durch Anschauung guter Partituren erlange, bezeigen dieienigen mit ihrem Exempel, die sich darinn hervorzuthun das Glück gehabt haben. Es ist aber dennoch alles zu gleicher Zeit zum Gebrauch des Claviers und der Orgel ausdrücklich eingerichtet.“

Carl Philipp Emanuel Bach

Die Kunst der Fuga
di Sig. o Joh. Seb. Bach


Werkinformationen

Das Werk ist eine Sammlung von Kompositionen über ein bestimmtes Thema, dessen Möglichkeiten systematisch ausgearbeitet werden.

Johann Friedrich Agricola (Schüler Bachs und später Hofkomponist Friedrichs II.): „Die Kunst der Fuge. Diese ist das letzte Werk des Verfassers, welches alle Arten der Contrapuncte und Canonen, über einen eintzigen Hauptsatz enthält.“

Es setzt sich aus vierzehn drei- und vierstimmigen Fugen und vier zweistimmigen Kanons zusammen und beinhaltet in den ersten Druckauflagen noch eine Revision des Chorals „Vor deinen Thron tret‘ ich hiermit“, der der letzte der „Achtzehn Choräle
von verschiedener Art“ ist und wohl von C. P. E. Bach als Zusatz für die unvollendete Fuge unter dem Titel „Choral.

Wenn wir in hoechsten Noethen Canto Fermo in Canto“ beigefügt wurde. Mit dem Werk solle anschaulich vermittelt werden, so der Bach-Biograph Johann Nikolaus Forkel, „was möglicher Weise über ein Fugenthema gemacht werden könne.

Die Variationen, welche sämmtlich vollständige Fugen über einerley Thema sind, werden hier Contrapuncte genannt.“

1731 veröffentlichte Bach die sechs Partiten für Cembalo als sein Opus 1, wobei die erste Partita bereits 1726 von Balthasar Schmid gedruckt worden war. 1735 erfolgte der Druck des zweiten Teils der Clavier Ubung bei dem Verleger Christoph Weigel Junioris und 1739 der Druck des dritten Teils.

Im Jahre 1741 erfolgte der Erstdruck der ARIA mit verschiedenen Veraenderungen durch Balthasar Schmid. Einige Jahre später übernahm Johann Georg Schübler den Originaldruck des Musicalischen Opfers und der sechs sogenannten Schüblerchoräle.

Offenbar wollte Bach vor allem einen kleineren Kreis von Spezialisten erreichen, daher enthalten die Drucke durchweg Musik für Tasteninstrumente (abgesehen von der Triosonate aus dem Musicalischen Opfer).

In dieser Reihe großer Veröffentlichungen für das Tasteninstrument steht auch die erst nach Bachs Tod erschienene Kunst der Fuge.


Contrapunctus I

Bach beschäftigte sich in seinen letzten Lebensjahren mit dieser Komposition, nachweislich jedoch bereits um 1740.

Es wird vermutet, dass der Druck als Jahresgabe für die Correspondierende Societät der musicalischen Wissenschaften bestimmt war, der Bach 1747 im Monat Junius (damals noch Julianischer Kalender) beigetreten war und deren Mitglieder laut Statuten bis zu ihrem 65. Lebensjahr in jedem Juni ein „wissenschaftliches Werk“ im Druck vorzulegen hatten.

Der Antrittsbeitrag im Jahre 1747 waren die Canonischen Veränderungen über Martin Luthers Weihnachtslied [Vom Himmel hoch, da komm ich her].

Der Titel der autographen Reinschrift ist: Vom Himmel hoch, da komm ich her. per Canones. à 2 Clav: et Pedal. di J. S. Bach.

Ein Jahr später wurde wohl das Musikalische Opfer als Abgabe auserkoren. Die rechtzeitige Fertigstellung der Kunst der Fuga zum Juni 1749 wurde aller Wahrscheinlichkeit nach durch Bachs zunehmende Erblindung und durch zwei erfolglose Operationen des britischen Chirurgen John Taylor verhindert. Auch Händels Augen operierte Taylor später vergeblich.

Der Contrapunctus XIV bricht ab; allgemein wird angenommen, dass mit diesem Stück die Fugenreihe abgeschlossen gewesen wäre. Ein Anhaltspunkt dafür ist die von Bach verfolgte Zahlensymbolik; B – A – C – H entspricht im Zahlenalphabet 2 + 1 + 3 + 8 = 14.

Die Komplexität der vierzehnten Fuge bestärkt diesen Gedanken vehement. Vierzehn Kanons umfasst auch Bachs Werk mit dem Titel Verschiedene Canones über die ersteren acht Fundamental=Noten vorheriger Arie.

Auf fünf einzelnen Blättern ist der unvollendete Contrapunctus XIV nicht in Partitur, sondern auf ein „Klaviersystem“ (zwei Zeilen pro Akkolade) notiert.

Das Stück bricht mitten auf der Seite 5 ab, es folgt von der Hand Carl Philipp Emanuel Bachs der Vermerk: „Ueber dieser Fuge, wo der Nahme B A C H im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfasser gestorben.“

In der Erstausgabe von vermutlich 1751 geht dem Notentext voraus: „Nachricht. Der selige Herr Verfasser dieses Werkes wurde durch seine Augenkrankheit und den kurz darauf erfolgten Tod ausser Stande gesetzet, die letzte Fuge, wo er sich bey Anbringung des dritten Satzes namentlich zu erkennen giebet, zu Ende zu bringen; man hat dahero die Freunde seiner Muse durch Mittheilung des am Ende beygefügten vierstimmig ausgearbeiteten Kirchenchorals, den der selige Mann in seiner Blindheit einem seiner Freunde aus dem Stegereif in die Feder dictiret hat, schadlos halten wollen.“

Forkel schreibt in seiner Bach-Biographie von 1802:

„Zum Ersatz des Fehlenden an der letztern Fuge ist dem Werke am Schluß der 4stimmig ausgearbeitete Choral:

Wenn wir in höchsten Nöthen sind etc. beygefügt worden. Bach hat ihn in seiner Blindheit, wenige Tage vor seinem Ende seinem Schwiegersohn Altnikol in die Feder dictirt.

Von der in diesem Choral liegenden Kunst will ich nichts sagen; sie war dem Verf. desselben so geläufig geworden, daß er sie auch in der Krankheit ausüben konnte.

Aber der darin liegende Ausdruck von frommer Ergebung und Andacht hat mich stets ergriffen, so oft ich ihn gespielt habe, so daß ich kaum sagen kann, was ich lieber entbehren wollte, diesen Choral, oder das Ende der letztern Fuge.“


Einblick in Contrapunctus VI

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von Hans Georg Nägeli


Der Musikverleger Hans Georg Nägeli war es, der zwischen 1801 und 1802, also etwa 50 Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe der Kunst der Fuge, zwei Ausgaben des Werkes neu herausbrachte. Die Drucke erschienen im Klavierauszug und in Partitur in Paris und Zürich.


Friedrich Wilhelm Marpurg über Bach



„Aber diese Bachische Kunst der Fuge war doch für die große Welt zu hoch; sie mußte sich in die kleine, mit sehr wenigen Kennern bevölkerte, Welt zurückziehen. Diese kleine Welt war sehr bald mit Abdrücken versorgt; die Kupferplatten ungenutzt liegen, und wurden endlich von den Erben als altes Kupfer verkauft. 

Wäre ein Werk dieser Art außerhalb Deutschland von einem so außerordentlich berühmten Mann, wie Bach, zum Vorschein gekommen, und noch außerdem durch einen Schriftsteller, der in diesem Fache öffentlichen Glauben hatte, als etwas Außerordentliches empfohlen worden, so würden aus bloßem Patriotismus vielleicht 10 Prachtausgaben davon vergriffen worden seyn.“


„Ernste Musik ist die Geisteshaltung des Universums.“

Emanuel Melchior