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Six Preludes

Six Preludes

„Die Six Preludes stellen einen wahrhaftigen Schatz dar.
Diese Juwelen gilt es innerhalb des Makrokosmos der Musikgeschichte hervorzuheben.“

Emanuel Melchior

Six Preludes
(für Anfänger auf dem Clavier) par J. S. Bach


Werkinformationen

Die Entstehungszeit dieser 6 Stücke ist unbekannt.      Ein Autograph von Bach ist – wie schon bei der Aria und den 30 Variationen – auch hier nicht mehr vorhanden. Das Werk ist uns heute als Autograph einer der Schüler Bachs bekannt: Johann Christian Kittel.

Kittel war ein deutscher Komponist und Organist, der 1732 in Erfurt geboren wurde. Um 1748 ging dieser mit der Hoffnung, sich von Bach unterrichten zu lassen, nach Leipzig. Er wurde nicht nur sein Schüler, sondern zuweilen als Begleiter bei musikalischen Aufführungen von Bach engagiert.

Als einer der letzten Schüler Bachs erlangte er hohes Ansehen und unterrichtete in der Tradition Bachs zahlreiche Schüler. Zu den Bewunderern seines Orgelspiels gehörten Goethe, Herder und  Wieland.

Ein einzelnes Stück, oder sogar ein Werk, das aus mehreren Stücken besteht wie im Fall der Six Preludes (für Anfänger auf dem Clavier), kann durchaus die ursprüngliche Funktion als reine Fingerübung verlieren, sofern es ursprünglich überhaupt ausschließlich dafür konzipiert war, sobald die Herangehensweise des Interpreten das Potential des entsprechenden Stückes widerspiegelt.

Sicherlich schwingt bei Bach zwangsläufig ein überbordendes Genius mit, welches selbst einem zur Übung dienenden Musikstück eine Ausdrucksstärke verleiht und dem Musiker und Rezipienten sogar eine beherzte Innigkeit verspüren lässt.

Aus pianistischer Sicht ist festzustellen, dass die sechs Präludien, welche sich alle in binärer Form darstellen, optimal geeignet sind, den Spieler „faustfest“ zu machen, um ein altes Wort zu nutzen. Allerdings sollte hinzugefügt werden, dass die Stücke je nach Tempowahl keineswegs ausschließlich für Anfänger geeignet sind. Das C-Dur Präludium beispielsweise ist so beschaffen, dass die Hände auffallend unabhängig voneinander agieren. 

Six Preludes, Präludium Nr. 1

Six Preludes, Präludium Nr. 3

Im dritten Präludium, welches in der Haupttonart d-Moll steht, können Modulationen festgestellt werden. Die Tonarten F-Dur und g-Moll treten auf, bevor es wieder in die Grundtonart d-Moll geht. Auch hier sind harmonische Raffinessen und spielerische Besonderheiten anzutreffen. 

Im Präludium Nummer 6 ist eine ausgeprägte Reife festzustellen, welche in Verbindung mit den Stimmführungen gleichermaßen einen seriösen Ausdruck und gewissermaßen eine weise Gesinnung vermittelt und bestenfalls lehrt. 

Am eindrucksvollsten ist diese in sich geschlossene und in sich ruhende Harmonie mit Goethes Worten zu beschreiben.

So schreibt er in einem Brief an seinen Freund Carl Friedrich Zelter vom 21. Juni 1827:
„Wohl erinnere ich mich bei dieser Gelegenheit an den guten Organisten in Berka; denn dort war mir zuerst, bei vollkommener Gemütsruhe und ohne äußere Zerstreuung, ein Begriff von Eurem Großmeister geworden. Ich sprach mir’s aus: als wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich’s etwa in Gottes Busen, kurz vor der Weltschöpfung, möchte zugetragen haben. So bewegte sich’s auch in meinem Innern, und es war mir, als wenn ich weder Ohren, am wenigsten Augen, und weiter keine übrigen Sinne besäße noch brauchte.“

Diese Kombination aus schöpferischer Harmonie der Stimmen und Ausdruck dieser per se, machen jene Stücke zu einem Meisterwerk. Diese Juwelen gilt es, innerhalb des Makrokosmos der Musikgeschichte hervorzuheben.

Das „Clavierbüchlein vor Wilhelm Friedemann Bach“ von 1720 und die beiden „Clavier-Büchlein vor Anna Magdalena Bachin“ aus den Jahren 1722 und 1725 sollten zudem eingehende Beachtung finden.

Eine weitere Empfehlung ist „Nannerls Notenbuch“. Das von Leopold Mozart von 1759 bis etwa 1764 zusammengestellte Buch enthält Stücke, die für seine Tochter Maria Anna Mozart (genannt „Nannerl“) bestimmt waren, um ihr das Lernen und Üben zu erleichtern. Das Buch wurde auch von seinem Sohn Wolfgang verwendet, in dem die frühesten Kompositionen des letzteren dokumentiert sind.

Das gesamte Notenbuch ist für Anfänger geeignet. Eines der Stücke ist zum Beispiel ein Allegro aus der vierten Sonate des Op. 2: Sei Sonate per il Cembalo Solo accompagnate da alcune Ariette Polonesi e Menuetti von Johan Joachim Agrell.

Sei Sonate per il Cembalo Solo, Op. 2,                          Sonate Nr. 4 in e-Moll, allegro – 1. Hälfte

Die sechs Sonaten wurden ursprünglich Adolf Friedrich gewidmet, der von 1751 bis zu seinem Tod im Jahr 1771 König von Schweden war. Er wurde 1710 geboren, war Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf und Fürstbischof von Lübeck.

Der in Schweden geborene Agrell ließ einige seiner eigenen Kompositionen bei Balthasar Schmid veröffentlichen. Derselbe Herr Schmid, der 1741 die Goldberg-Variationen druckte.

Ein angemessenes Lehrstück ist zudem das Kinderstück von Anton Friedrich Wilhelm (von) Webern.
Dies kann eine schöne Ergänzung für den Unterricht eines Anfängers darstellen.

Es ist technisch leicht zu spielen und zeigt mit der zugrundeliegenden Reihentechnik eine zusätzliche Form auf, sich mit Spielanweisungen und somit dem Instrument zu beschäftigen.

Kinderstück – Anton Webern

Etüden von Carl Czerny, stundenlange Fingerübungen von Charles-Louis Hanon, Übungsstücke für das Piano zu 4 Händen von Anton Diabelli und inhaltslose Kinderstücke im Allgemeinen, die der heutigen Zeit entstammen, können somit getrost umgangen werden.

Eltern, die Ihrem Kind eine Kurzweil verschaffen wollen und ihren Freunden davon erzählen möchten, wie schön anzusehen es war, dass der kleine Finn seinen ersten Gürtel im Judo bekommen hat und auch beim Bogenschießen eindeutige Fortschritte macht, sollten weiterhin darauf Acht geben, dass im Klavierunterricht zeitgenössische Klaviervierstücke für Kinder vermittelt werden.

Es besteht anderenfalls die Gefahr, dass die technischen Fortschritte des eigenen Sprosses, welche den Freunden beim abendlichen Glas Rotwein zu gerne als Teil einer Salbaderei zu Gemüte geführt werden, nicht mehr als Erfolgsstory verkauft werden können.

Zwar bietet die geringere Tastenbreite eines Cembalos einen Vorteil für Kinderhände, aber die angesprochenen Stücke sind auch für solche Hände auf dem heutigen Klavier technisch zu bewerkstelligen. Um es mit Glenn Goulds Worten zu sagen: „Klavier spielt man nicht mit den Händen, sondern mit dem Kopf.“

Eines ist besonders hervorzuheben. Ein Musiker, gleich welchen Alters, sollte nur vor Publikum auftreten, wenn dies aus freiesten Stücken geschieht. Jegliche Ausübung von Druck ist strikt abzulehnen.

Das Ziel, wenn davon überhaupt die Rede sein kann, ist es, dass der Mensch durch die Musik bereichert wird. Es muss ihm freistehen, auch andere zu bereichern. Des Weiteren dient die Musik auch dazu, einen starken Charakter auszubilden und ein lauterer Mensch zu werden oder zu sein.

Die Musik ist somit idealerweise eine Ausdrucksform des eigenen Wesens und kann in frühen Jahren gleichzeitig wegweisend sein oder zumindest Anhaltspunkte bieten. Mehr ist es nicht. Und auch nicht weniger!

Bei dieser Gelegenheit sei angemerkt, dass die Pianisten und Komponisten Gould und Chopin das Auftreten vor Publikum generell ablehnten. Gould ging soweit es als absoluten Selbstbetrug zu bezeichnen und Chopin bemerkte Liszt gegenüber: „Ich bin nicht geeignet, Concerte zu geben, da ich von dem Publicum scheu gemacht werde, mich von seinem Athem erstickt, von seinen neugierigen Blicken mich paralysirt fühle; ich verstumme vor den fremden Gesichtern.“

Schließen kann dieser „Essay“ mit einer Überlieferung aus Forkels Bach Biographie von 1802:

„Ich will zuerst etwas über seinen Unterricht im Spielen sagen. Das erste, was er hierbey that, war, seine Schüler die ihm eigene Art des Anschlags, von welcher schon geredet worden ist, zu lehren. Zu diesem Behuf mußten sie mehrere Monathe hindurch nichts als einzelne Sätze für alle Finger beyder Hände, mit steter Rücksicht auf diesen deutlichen und saubern Anschlag, üben. Unter einigen Monathen konnte keiner von diesen Uebungen loskommen, und seiner Ueberzeugung nach hätten sie wenigstens 6 bis 12 Monathe lang fortgesetzt werden müssen. Fand sich aber, daß irgend einem derselben nach einigen Monathen die Geduld ausgehen wollte, so war er so gefällig, kleine zusammenhängende Stücke vorzuschreiben, worin jene Uebungssätze in Verbindung gebracht waren.

Von dieser Art sind die 6 kleinen Präludien für Anfänger, und noch mehr die 15 zweystimmigen Inventionen. Beyde schrieb er in den Stunden des Unterrichts selbst nieder, und nahm dabey bloß auf das gegenwärtige Bedürfniß des Schülers Rücksicht. In der Folge hat er sie aber in schöne, ausdrucksvolle kleine Kunstwerke umgeschaffen. Mit dieser Fingerübung entweder in einzelnen Sätzen oder in den dazu eingerichteten kleinen Stücken, war die Uebung aller Manieren in beyden Händen verbunden.

Hierauf führte er seine Schüler sogleich an seine eigenen größern Arbeiten, an welchen sie, wie er recht gut wußte, ihre Kräfte am besten üben konnten. Um ihnen die Schwierigkeiten zu erleichtern, bediente er sich eines vortrefflichen Mittels, nehmlich: er spielte ihnen das Stück, welches sie einüben sollten, selbst erst im Zusammenhange vor, und sagte dann: So muß es klingen.

Man kann sich kaum vorstellen, mit wie vielen Vortheilen diese Methode verbunden ist. Wenn durch das Vergnügen, ein solches Stück in seinem wahren Charakter zusammenhängend vortragen zu hören, auch nur der Eifer und die Lust des Schülers angefeuert würde, so wäre der Nutzen schon groß genug. Allein dadurch, daß der Schüler nun auch auf einmahl einen Begriff bekommt, wie das Stück eigentlich klingen muß, und welchen Grad von Vollkommenheit er zu erstreben hat, wird der Nutzen noch ungleich größer.

Denn so wohl das eine als das andere kann der Schüler ohne ein solches Erleichterungsmittel nur nach und nach, so wie er die mechanischen Schwierigkeiten allmählig überwindet, und vielleicht doch nur sehr unvollkommen kennen und fühlen lernen. Ueberdieß ist nun der Verstand mit in das Spiel gezogen worden, unter dessen Leitung die Finger weit besser gehorchen, als sie ohne dieselbe vermögen würden.

Kurz, dem Schüler schwebt nun ein Ideal vor, welches den Fingern die im gegebenen Stücke liegenden Schwierigkeiten erleichtert, und mancher junge Clavierspieler, der kaum nach Jahren einen Sinn in ein solches Stück zu bringen weiß, würde es vielleicht in einem Monath recht gut gelernt haben, wenn es ihm nur ein einziges Mahl im gehörigen Zusammenhange und in gehöriger Vollkommenheit vorgespielt worden wäre.“

Six Preludes, Präludium Nr. 4            – 2. Hälfte

Six Preludes, Präludium Nr. 5            – 2. Hälfte

„Man nannte einen musikalischen Satz, der so beschaffen war, daß aus ihm durch Nachahmung und Versetzung der Stimmen die Folge eines ganzen Stücks entwickelt werden konnte, eine Invention. Das übrige war Ausarbeitung und bedurfte, wenn man die Hülfsmittel der Entwickelung gehörig kannte, nicht erst erfunden zu werden.

Diese 15 Inventionen sind zur Bildung eines angehenden Clavierspielers von großem Nutzen. Der Verf. hat darauf gesehen, daß dadurch nicht nur eine Hand wie die andere, sondern auch ein Finger wie der andere gebildet werden kann.

Sie sind im Jahr 1723 zu Cöthen verfertigt, und führen ursprünglich den Titel: »Aufrichtige Anleitung, womit den Liebhabern des Claviers eine deutliche Art gezeigt wird, mit zwey Stimmen rein spielen zu lernen, auch zugleich gute Inventiones zu bekommen und sie gut durchzuführen, am allermeisten aber eine cantable Art im Spielen, und einen starken Vorschmack von der Composition zu erlangen.«

In mehrere dieser Inventionen hatten sich anfänglich einige steife und unedele Wendungen der Melodie, auch einige andere Mängel eingeschlichen.

Bach, der sie ihrer Anlage nach auch in spätern Jahren sehr brauchbar für seine Schüler fand, nahm ihnen nach und nach alles, was nach seinem gereinigtern Geschmack nicht taugte, und machte am Ende wahre ausdrucksvolle Meisterstücke daraus, die deswegen ihren Nutzen für Hand-Finger- und Geschmacksbildung nicht verloren haben. Durch ein sorgfältiges Studium derselben kann man sich zu den größern Stücken Joh. Seb. Bachs am besten vorbereiten.

15 dreystimmige Inventiones, die auch unter dem Namen Sinfonien bekannt sind. Sie haben einerley Zweck mit den vorhergehenden, sollen nur weiter führen.“

Der Erstdruck der Six Preludes erfolgte 1802.    Beethoven erhielt im Jahr 1802 die Noten dieser Erstausgabe. Als besonders interessant ist zu vermerken, dass es auffallende Ähnlichkeiten zwischen Bachs Präludium Nr. 1 und Beethovens – Sonate Nr. 18, Op. 31 Nr. 3 – II. Scherzo. Allegretto vivace gibt.

Beethovens Zuneigung und Verehrung den Werken Bachs gegenüber dürfte einigen Kunstliebhabern oder zumindest einigen Kunstbeflissenen bekannt sein; sein Anteil an der Bach-Renaissance des frühen 19. Jahrhunderts, sollte zweifelsohne mehr Beachtung finden als bisher.

Die Tatsache, dass Mendelssohn Bartholdy ein Schüler des oben bereits erwähnten C. F. Zelters war, welcher die Bach-Renaissance ebenfalls vorantrieb und für Mendelssohns Haltung Bach gegenüber sicherlich wegweisend gewesen war, zeigt einen geschichtlichen Zusammenhang auf und ist ebenfalls beachtlich. 

EMANUEL MELCHIOR SPIELT
BACH • AGRELL • WEBERN

EcoRecord LP

Limitierte Erstausgabe

„Im Wesen der Musik liegt es, Freude zu bereiten.”

Aristoteles